Über den Kulturkampf der Sprache

Ein Besuch auf den Sprachtagen des Vereins Deutsche Sprache – ZEIT Online

Westfälische Pampa, irgendwo zwischen Dortmund und Hamm: weite Äcker, Fachwerkhäuser, in der Ferne das Fördergerüst einer stillgelegten Zeche. Der Schriftsteller Horst Hensel, ein schnauzbärtiger älterer Herr, steht vor einer Gruppe vorwiegend älterer Herren, seine Lesebrille hat er in die Brusttasche gesteckt. Eine literarische Führung. Hinter ihm: eine unkrautüberwucherte Mauer; die einstige Erschießungsmauer, erklärt Hensel. Vor über 100 Jahren hat die Reichswehr hier Massaker an aufständischen Arbeitern verübt, beim sogenannten Ruhraufstand 1920. “Die haben auf alles geschossen, was sich bewegt”, erklärt Hensel, “und dann in die Jauchegrube geworfen.” 

Betroffenes Schweigen. Da fragt ein grauhaariger Herr in die Runde, welche Sprachregelung heute wohl korrekt sei, um einem Ereignis wie diesem zu gedenken. “Oder ist es vielleicht schon rechtsradikal, überhaupt zu gedenken?” Welche Sprachregelung er meint oder warum es rechtsradikal sein sollte, ausgerechnet niedergeschlagenen Arbeitern zu gedenken, wird nicht klar. Das glaube er nicht, widerspricht ein anderer. “Allerdings müsste man aus Sicht der Woken wohl den Kampf der Arbeiter entsprechend glorifizieren.” – “Nein, nein”, fällt ihm jemand Weiteres ins Wort, es ist die einzige Frau in der Runde. “Die Woken und die Arbeiter, die haben doch gar nichts miteinander zu tun.” Man hat viele Fragen nach dieser Unterhaltung, aber alle nicken.

Es ist Tag eins der Sprachtage, dem jährlichen Mitgliedertreffen des Vereins Deutscher Sprache (VDS), das mit lokalen Führungen beginnt, und man tut den Menschen wohl nicht Unrecht, wenn man sagt: Dass man mit dem Zeitgeist fremdelt, hat hier Tradition. Seit 1997 kämpft der VDS dafür, “dass Deutsch nicht zu einem Feierabenddialekt verkommt, sondern als Sprache von Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft erhalten bleibt”, so formuliert man es auf der eigenen “Netzseite”. 36.000 Mitglieder haben sich diesem Kampf angeschlossen, viele Akademiker sind darunter, und auch Prominente wie der Sportkommentator Waldemar “Waldi” Hartmann, der Historiker Michael Wolffsohn oder der Fußballtrainer Ottmar Hitzfeld.

Die Gegner dieses Kampfes, das sind die “Sprachpanscher”, die Vertreter des “Gender-Unfugs”, die in den deutschen Redaktionsstuben, Seminarräumen und Parlamenten sitzen; also diejenigen, die die deutsche Sprache verhunzen, durch Gendern oder Anglizismen, so sieht man das hier. Dass man bei aller Deutschliebe diesen Kampf mit den ganz groben sprachlichen Geschützen führt, das muss dann wohl sein.

Denn auch die Gegner gehen mit dem VDS nicht zimperlich um. Schon früher warf man dem Verein gerne vor, puritanisch oder nationalistisch zu sein, der Journalist Stefan Niggemeier bezeichnete ihn 2016 als “Sprach-Pegida”. Doch so schlimm wie dieses Mal war es noch nie. 

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