Über die Wunden der Geschichte
Europäische Museen haben mit der Rückgabe von Kunstwerken begonnen, die zur Kolonialzeit aus dem heutigen Nigeria geraubt wurden. Doch nun behauptet ein Lokalfürst, die kostbaren Objekte seien sein Privateigentum. Eine Recherche von Zürich bis Lagos – erschienen im Magazin des Tagesanzeigers und bei Deutschlandfunk Kultur, Feature beim HR, Foto: Manny Jefferson
Der Prinz von Benin war geladen, um Raubkunst zu identifizieren, und so reiste er diesen Januar mit Bus und Bahn durch die Schweiz, nach Basel, Zürich und St.Gallen. Nie zuvor hatte der Kunsthistoriker das Land besucht, ein Visum ist unter normalen Umständen fast unerreichbar. Die Schweiz machte Eindruck auf den Prinzen: Es gefiel ihm, durch den Schnee zu stap- fen, vom Zugfenster aus die Berge zu sehen und dass es zu jeder Mahlzeit einen Korb mit Brot gab. In Zürich in der Badenerstrasse entdeckte er ein Restaurant, benannt nach seiner Urahnin, Königsmutter Idia, westafrikanische Küche. Er ass Erdnusssuppe mit Fisch, und nachdem er die Inhaber darüber aufgeklärt hatte, dass er ein Prinz von Benin ist, ein Nachfahre der Idia also, da erzählte er bei nigerianischem Bier bis spätnachts aus seinem Leben.
Der Höhepunkt für den Prinzen aber war der Besuch im Zürcher Museum Rietberg. Als er erstmals die Kunst seiner Vorfahren in den Händen hielt. Es war jene Kunst, welche die Kolonialisten vor 126 Jahren aus dem Palast seines Urgrossvaters geraubt hatten, dem Oba Ovonramwen, König von Benin: aus Messing gegossene Köpfe seiner Ahnen, Skulpturen wilder Tiere oder Relieftafeln, auf denen historische Ereignisse abgebildet sind. In diesem Moment, sagt der Prinz, habe er sich alt gefühlt. Sehr alt. Dann schweigt er.
Der Prinz heisst Patrick Oronsaye, er ist Mitte sechzig und sitzt mir gegenüber am Rande von Benin City, Nigeria, im Büro des Waisenhauses, das seine Mutter einst gegründet hat. Auf dem Laptop klickt er durch die Fotos seiner Schweizreise, Betriebssystem Windows 7. Den wackligen Schreibtisch hat Western Union gespendet, am Fensterrahmen blättert der Putz, aus dem Innenhof dringt Kinderlärm.
Der Prinz erzählt, einer seiner Jungs aus dem Waisenhaus habe ein- mal gesagt, mit den Benin-Bronzen, die Deutschland und womöglich auch die Schweiz nun zurückgeben werden, kehre die Geschichte zurück. Das stimme. Es sei, als wären es seine Vorfahren selbst, die nach Hause kommen.
Nach Hause – für den Prinzen heisst das: in die Hände seines Neffen, des Oba Ewuare II. Der aus seiner Sicht einzig rechtmässige Besitzer.
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