Über den Zauber des Entdeckens
TV-Magazine sind die Verbindung zweier totgesagter Medien: Fernsehen und Print. Und trotzdem unfassbar beliebt. Warum nur? – Die ZEIT, Illustration: Animationseries2000
Manchmal sind es ja die Unannehmlichkeiten des Lebens, die das Bewusstsein öffnen. Wenn die Alltagsroutinen zum Stillstand kommen, nehmen wir wahr, was unser Hirn sonst zuverlässig herausfiltert. So war es auch an jenem Tag: Penny am Hauptbahnhof, schnell einen Tuna-Wrap kaufen, plastikverpackt, dann zurück ins Büro, als mich die Schlange an der Kasse ausbremste. Ich ließ meinen Blick über die aschgraue Förderband-Tristesse gleiten, und plötzlich lächelten sie mich an, die fast ausnahmslos blonden Frauen auf den Titelseiten des Zeitschriftenständers: TV Spielfilm, TV Movie, TV Digital, TV Hören und Sehen. Wie nur war es möglich, dass ein Magazinformat, das zwei offenbar todgeweihte Medien miteinander verbindet (Fernsehen und Print), so quicklebendig ist?
Das TV-Magazin, in der Branchensprache “Programmie” genannt – noch immer liegt es bei den Zeitschriftensegmenten hierzulande auf Rang zwei, hinter der Frauenzeitschrift, aber vor Autos, Garten, Wohnen, vor Politik und Wirtschaft sowieso. Die Auflage der Hörzu etwa liegt bei knapp 800.000 Exemplaren, die der TV 14 sogar bei rund 1,5 Millionen – auch die ZEIT kann davon nur träumen. Gong (der Titel der ehemaligen Hörfunk-Zeitschrift geht auf den Gongschlag zurück, der einst stündlich im Radio ertönte) ist komplett identisch mit der Bild+Funk. Dass die verantwortliche Funke-Redaktion die beiden Titel nicht einfach zusammenlegt, liegt an der starken Bindung der Deutschen zu ihren Programmies. Und das, obwohl in Zeiten von Netflix und Co. vor allem jüngere Menschen immer weniger fernsehen, schon gar nicht linear, es gibt ja schließlich die Mediatheken. Wer braucht da noch gedrucktes Papier, auf dem steht, zu welcher Uhrzeit was läuft?
Große These also zum Einstieg: Vielleicht ist die Fernsehzeitschrift etwas sehr Deutsches. In kaum einem anderen europäischen Land gibt es so viele Titel wie bei uns, insgesamt sind es 30. Und auch wenn die Zahl der frei empfangbaren Fernsehsender hier am größten ist (mehr als 60): Womöglich ist das Fernsehprogramm einfach ein ultimatives Symbol für Erwartbarkeit und Stabilität. Und das lieben wir.
Auf dem Cover des Gongs erscheint jedes Jahr zu Weihnachten dieselbe Kapelle in verschneiter Winterromantik, nur die Perspektive darauf variiert. Wer in Zeiten des ständigen Wandels nach Stabilität sucht, der blättert in der Hörzu, lässt sich von Marmeladenrezepten inspirieren und streicht für den ersten Weihnachtsfeiertag Sissi mit dem Kuli an.
Das wäre die These, sie gehört überprüft.
Berlin-Zehlendorf. Der Wannsee ist nicht weit, an den Fassaden der Jugendstilvillen klettert der Efeu in ordentlichen Bahnen. Im Biergarten sitzt Oliver Kalkofe. Er wohnt nur ein paar Häuser weiter. In seiner Sendung Kalkofes Mattscheibe wie auch der Kolumne Letzte Worte macht er sich seit Jahrzehnten über die Absurditäten der Fernsehwelt lustig, über die Silbereisens und Bohlens, die Frauentausche, Dschungelcamps und Inseln der Nackten.
Jetzt blättert er durch eine TV Digital, auf dem Cover funkeln Scarlett Johanssons blaue Augen. “Irgendwo hier muss meine Kolumne stehen”, sagt er. Oder war es doch ein anderes dieser Heftchen, deren Namen mit TV anfangen? Kalkofe legt die Zeitschrift zur Seite, überlegt: “Ich glaube, es war die TV Today,nicht die TV Digital.” Die wiederum habe im Wesentlichen denselben Inhalt wie die TV Spielfilm,jene Zeitschrift, für die Kalkofe seine Letzten Worteschreibt. So viele Magazine, man kommt selbst als Experte durcheinander.
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