Über die Mühlen der Bürokratie
Fast jeder geflüchtete Ukrainer muss seine Finger irgendwann auf eine schwarze Box legen. Um Geld zu kriegen, zu arbeiten. Auch in Neumünster passiert das, am Schreibtisch von Tanja Himmelmann. Nur hakt es gerade ein bisschen – Foto: Jewgeni Roppel, Die ZEIT
7.26 Uhr im Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge Neumünster. Im Raum 47A der klinkersteinroten Mietskaserne sitzt Frau Himmelmann wie jeden Morgen an ihrem melaminbeschichteten Schreibtisch, der Kaffee stößt Wölkchen aus, ihre Finger flitzen über die Tastatur, im Hintergrund dudelt leise NDR2-Hitradio. Als auf ihrem Bildschirm eine Meldung aufploppt: Wartungsarbeiten.
“Da müssen Sie wohl erst mal draußen Platz nehmen!”, ruft Frau Himmelmann dem Mann zu, der auf der anderen Seite der Plexiglasscheibe sitzt. “Ein technisches Problem.” Wieder einmal. Wortlos steht der Mann auf, betritt den linoleumgrauen Flur und setzt sich zu den anderen, die auf hölzernen Klappstühlen warten. Er solle mal in einer halben Stunde wiederkommen, sagt Frau Himmelmann.
Für die etwa 50 Flüchtlinge auf den Klappsitzen sind Frau Himmelmann und ihre Kollegen das Eintrittstor in die deutsche Bürokratie. Zum ersten Mal werden ihre Daten hier vollständig erfasst, von einem in diesen Tagen sehr begehrten Gerät, darauf kommen wir noch. Vor allem für die unter ihnen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, ist diese Registrierung ein entscheidender Schritt: Erst danach dürfen sie Schulen und Sprachkurse besuchen, einer Arbeit nachgehen oder Sozialhilfe empfangen.
Das Problem: In ganz Deutschland fehlte die Technik erst, jetzt versagt sie – und so füllen sich die Behördenflure des Landes mit Zigtausenden teilweise traumatisierten Menschen, die darauf warten, endlich ihr neues Leben beginnen zu dürfen.
“Seit die Ukrainer da sind, können wir keinen Tag durcharbeiten”, sagt Frau Himmelmann, 54 Jahre, Vorname Tanja. Es mag früh am Morgen sein, aber sie wirkt schon hellwach. Erst gestern habe sie Leute nach Stunden der Warterei wegschicken müssen. Klar, das sei frustrierend, für beide Seiten.
Personalinfrastrukturkomponente heißt die , die schuld ist an dem Ärger, kurz Pik. Ein sperriges Wort, dem man ein knackiges Akronym zugewiesen hat, wie sie es gerne machen in deutschen Behörden. Es existiert sogar ein Verb für das, was Frau Himmelmann macht: piken, sie spricht es mit langem “ie”.
Das Piken entstand in der Flüchtlingskrise 2015. Es sollte helfen, die Bewerbungen um Asyl in den Griff zu bekommen. Damals, Anfang 2016, als Frau Himmelmann hier anfing, begannen Behörden, sogenannte Pik-Stationen zu eröffnen. Die Krise hatte offenbart, wie schlecht die Verwaltung mit dem Unvorhersehbaren umgehen konnte, in dem Fall: mit den Folgen eines Krieges. Anis Amri, der Terrorist vom Berliner Breitscheidplatz, hatte sich an 14 verschiedenen Orten als Asylsuchender gemeldet, mit 14 Identitäten reiste er durchs Land. Die Pik-Stationen sollten Asylmissbrauch verhindern, Klarheit schaffen, wer die Neuen im Land sind. So eine Station besteht aus: einem kleinen schwarzen Apparat, mit dem sich Fingerkuppen scannen lassen, einem Dokumentenprüfgerät und einer Kamera.
Doch seit täglich Bomben auf ukrainische Häuser geworfen werden, häufen sich die schlechten Pik-Nachrichten in den Medien: Zu viele der Scanner seien voreilig ausgemustert worden. Und: Die Server seien regelmäßig überlastet. Die Krise trifft die deutsche Bürokratie wieder einmal recht unvorbereitet.
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